Barcelona muss sich neu erfinden

Barcelona muss sich neu erfinden

Beim FC Barcelona läuft es in dieser Saison alles andere als rund. Längst sind die Zeiten vorbei, in denen die Katalanen praktisch jeden Gegner an die Wand spielten, längst ist vom einst so gefürchteten Kurzpassspiel, dem Tiki-Taka, kaum noch etwas zu sehen. Beim 0:1 im Gastspiel bei Real Valladolid setzte es bereits die dritte Niederlage in den letzten sechs Ligaspielen, in der Tabelle ist man nur noch auf Rang 3. Fakt ist: Der Club muss sich neu erfinden – und ist dazu auch durchaus in der Lage.

ür Barca ist das nämlich nichts Neues: Nachdem unter dem damaligen Coach Frank Rijkaard in der Saison 05/06 nicht nur die spanische Meisterschaft und die Copa del Rey, sondern auch die Champions League gewonnen wurde, ging der Club in der Folgesaison ohne Titel in die Sommerpause. Es folgte die Trennung vom holländischen Trainer. Pep Guardiola, zuvor Coach der zweiten Mannschaft, übernahm seinen Heimatverein und verpasste ihm ein neues Gesicht.

Stars wie Ronaldinho oder Deco, die Barcelona zuvor mit schönen Einzelaktionen von Sieg zu Sieg geschossen hatten, passten nicht ins System des ehemaligen Mittelfeldregiesseurs. Spieler aus der eigenen Jugend wie Lionel Messi, Gerard Pique, Andres Iniesta oder Xavi wurden die neuen Führungsfiguren im Guardiola-Konzept, dazu kamen Transfers wie David Villa.

Barcelona spielte in den folgenden Jahren mit seinen spinnennetzartigen Kurzpässen die Gegner schwindelig. Unvergessen das 3:1 im Champions-League-Finale 2011 gegen Manchester United, vielleicht einem der besten Endspiele einer Vereinsmannschaft überhaupt. Ein Jahr nach diesem Triumph nahm Guardiola seinen Hut – und mit ihm verließ der Erfolg die Katalanen.

Barca derzeit ein ideenloser Schmelztiegel

Guardiolas Nachfolger Tito Vilanova, zuvor Co-Trainer, übernahm die Profis und hielt nicht am erfolgreichen Tiki-Taka fest. Eckbälle wurden plötzlich auch mal lang geschlagen, der Gegner wurde erst später gestört, die Mannschaft stand etwas tiefer. Doch nicht nur sportlich gab es Veränderungen, Vilanova war aufgrund einer Krebserkrankung einige Wochen nicht in der Lage, die Mannschaft zu coachen, Verunsicherung machte sich breit.

Der Stich ins Herz des Vereins, der sich selbst den Slogan ‚Mes que un club‘ (mehr als ein Club) auf die Fahne schreibt, waren die 0:3 und 0:4-Niederlagen im CL-Halbfinale der vergangenen Saison gegen den FC Bayern. Auch Vilanova verließ den Verein, gewann mit seiner Mannschaft aber immerhin noch die spanische Meisterschaft.

Anfang dieser Saison übernahm Gerardo Martino das Ruder, dazu kam der Brasilianer Neymar, dessen Ablöse bei rund 100 Millionen Euro lag. Unter Martinos Regie ist das Tiki-Taka von einst längst verblasst, doch Barca hat sich von der Spielidee des heutigen Bayern-Coaches Guardiola immer noch nicht emanzipiert. „Mit unserem Spielstil haben wir es so weit übertrieben, dass wir irgendwann an einem Punkt waren, fast Sklaven unserer Spielweise zu sein“, gab Pique in der ‚Gazzetta dello Sport‘ im September letzten Jahres zu. Nun sei es „nichts Schlimmes, auch mal zwei Weitschüsse zu probieren“.

Genau das ist es aber, was den FCB derzeit teilweise harmlos aussehen lässt. In vielen Situationen werden die falschen Entscheidungen getroffen. Die Spieler spielen quer, wenn sie abschließen könnten, sie schießen auf das Tor, wenn andere Spieler besser positioniert sind. Das Konstrukt Barcelona wirkt derzeit wie ein ideenloser Schmelztiegel aus den Philosophien von Guardiola, Vilanova und Martino.

Hinzu kommt, dass Talente aus dem Fußballinternat des Vereins aktuell nicht den Stellenwert haben, den z.B. ein Xavi oder Iniesta hatten, als sie aus ‚La Masia‘, wie die Talentschmiede genannt wird, in die erste Mannschaft kamen. Thiago, das vielleicht größte Talent des Vereins, wurde im letzten Sommer an den FC Bayern verkauft.

Zu Guter Letzt scheint es bei einigen Spielern möglicherweise auch einfach zu menscheln. Gerade die spanischen Nationalspieler im Dienste der Rot-Blauen haben in den vergangenen Jahren alles gewonnen, was es zu gewinnen gab. Ob Champions League, Meisterschaft, Supercup, Europa- oder Weltmeisterschaft: Die Trophäensammlung der Spieler könnte den Hunger auf Erfolg gestillt haben.

Was man bei all dem nicht vergessen darf: Die Saison ist natürlich noch nicht vorbei. In der Champions League steht das Rückspiel gegen Manchester City an, nach dem 2:0 im Hinspiel hat der FC Barcelona gute Karten, ins Viertelfinale der Champions League einzuziehen. Auch in der Meisterschaft ist noch nicht aller Tage Abend. Um allerdings wieder auf das Topniveau der Guardiola-Zeit zu kommen, muss der Verein aber eben wieder zeigen, dass er ‚mehr als ein Club‘ ist.

Dieser Artikel wurde veröffentlicht bei: RTL.de und sport.de

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